Rezension: Carnival Row (Staffel 1)

Menschen fürchten, was sie nicht verstehen. Die Angst vor dem Anderen führte in der Menschheitsgeschichte regelmäßig zu Ausgrenzung, Unterdrückung und Gewalt: Christenverfolgungen im Römischen Kaiserreich, Judenpogrome im Mittelalter, Hatzen auf vermeintliche Hexen, die gewaltsame Unterjochung aller, die nicht „europäisch“ und „zivilisiert“ genug schienen – ein Haufen historischer Ungerechtigkeit, der teils bis heute nicht aufgearbeitet ist. Eine gute Grundlage also für literarische Bearbeitung. Und tatsächlich nimmt sich die Serie „Carnival Row“ aus dem Jahr 2019 des Themenkonglomerats rund um Fremdenhass, Diskriminierung und systematischer Ungleichheit an. Die „Anderen“ in der vom 19. Jahrhundert inspirierten Fantasy-Welt sind dabei … Feenwesen?

Inspektor Rycroft Philostrate sorgt im london-ähnlichen Stadtstaat Burgue für Recht und Ordnung. Wobei das mit dem Recht so eine Sache ist: Denn Feen, Faune, Kobolde, Trolle und Zentauren sind als Bürger zweiter Klasse allerlei Repressalien ausgesetzt, verachtet von ihren menschlichen Nachbarn. Dabei war es ein Krieg zwischen Menschenstaaten, der sie zur Flucht aus ihrer Heimat zwang. Vor dieser Kulisse, die überdeutliche Parallelen zu aktuellen und historischen Entwicklungen aufweist, entwickelt sich die Haupthandlung als klassische Ermittlergeschichte: Der Inspektor untersucht eine Mordserie, bei der jemand – oder etwas – leberlose Leichen hinterlässt. Dass er zeitgleich seine feeische Kriegsflamme Vignette wiedertrifft, macht die Sache nicht einfacher …

Die Geschichte wird wendungsreich erzählt, das Mysterium um die Morde spannend aufgebaut. Anfangs klingen sogar lovecraft’sche Züge an, die jedoch rasch im Sande verlaufen. Weitere Erzählstränge, die mal mehr, mal weniger mit der Hauptgeschichte verwoben sind, bauen die Welt aus. Im Finale fließen einige von ihnen zusammen, mit der Sogwirkung des Ausgangsrätsel kann die Auflösung jedoch nicht mithalten. Außergewöhnlich ist dafür die dritte Episode, die Vignettes und Rycrofts Vergangenheit beleuchtet. Als in sich abgeschlossene Vorgeschichte trägt die Folge entscheidend zur Charakterzeichnung bei, ohne dass der Wunsch nach einer raschen Rückkehr in die Haupthandlung aufkäme.

In allen Folgen sind die Themen Heimatlosigkeit, Ausgrenzung und Rassismus präsent. Diese Unterdrückung, gepaart mit dem perfiden Wissen, dass es den Feenwesen anderswo noch schlechter ginge, erlaubt es, ihren Zorn zu verstehen, ihre Verzweiflung nachzufühlen. Zwar wirken die menschlichen Peiniger stellenweise generisch und übertrieben boshaft – aber vielleicht quengelt da auch nur mein naiver Glaube an das Gute im Menschen. Den freut es dafür, dass selbst in der zutiefst gespaltenen Gesellschaft der Burgue Wege zur Überwindung von Differenzen bestehen, wie der Handlungsstrang rund um Lady Imogen und Faun Agreus zeigt.

Dann ist da noch die phantastische Komponente (ohne die man die Serie auch gleich im echten Viktorianischen England ansiedeln könnte). Tirnanoc, wie die Heimat der Feen in Anlehnung an die Anderswelt der irischen Mythologie genannt wird, lernen wir nicht als entrücktes Paradies kennen, sondern als vom Krieg zerrütteten Kontinent. Die übernatürliche Wunderwelt wird geerdet und entidealisiert, neben Kolonialismuskritik schwingt ein Haufen Melancholie mit. Auch die Menschenwelt kommt nicht ohne Magie aus: Mit der Figur der Haruspex, einer in Eingeweiden lesenden Seherin, finden Elemente der römischen Antike Eintritt in die Serie. Hinzu gesellen sich besagte Lovecraft-Anleihen, Werwölfe (die nach einer Folge von der Bildfläche verschwinden) und Steampunk-Luftschiffe – ein buntes Konglomerat der Phantastik, nah an der Grenze zum willkürlich Zusammengesammelten.

Dass der Weltenbau dennoch nicht auseinanderfällt, ist der dichten visuellen Atmosphäre zu verdanken. Für eine Serie hat „Carnival Row“ beeindruckende Bildwerte. Die Kulissen der Armenviertel und Kriegsschauplätze beeindrucken mit einer schmutzigen Lebendigkeit, kontrastiert durch die glänzende Lebenswelt der Oberschicht. Auch die Computereffekte überzeugen – essenziell für eine Serie, bei der die Hälfte der Figuren mit Flügeln und Hufen durchs Bild eilt. Auch das Intro, das Fortschrittsmotive des 19. Jahrhunderts aus Wissenschaft und Kunst mit Feenwesen vereint, ist gelungen. Das musikalische Hauptthema aus der Feder Nathan Barrs stimmt episch-mysteriös auf die Folgen ein.

Warum also nur 3 Sterne? Auf dem Papier ist „Carnival Row“ eine sauber geschriebene Serie mit verständlichem Narrativ, sympathischen Charakteren und einer interessanten Welt. Doch es fehlt das gewisse Etwas, ein Funke der Begeisterung. Adelsintrigen, Überlebenskampf in Armenvierteln, Detektivgeschichte – vieles erinnert an andere, originellere Erzählungen. Altbekanntes wird selten auf den Kopf gestellt, die wichtigen Botschaften kommen stellenweise zu plump herüber. „Carnival Row“ bleibt eine sehenswerte Serie, die über acht Folgen hinweg unterhält, richtige Faszination kommt jedoch selten auf.

Bewertung:
3/5

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