Rezension: Tomb Raider Legend

Lara Croft hat schon so einige Frischzellenkuren hinter sich. Bereits bevor die Tomb Raider-Reihe 2013 einen drastischen Kurswechsel hin zu einer realistischeren Erzählung einschlug, erhielt die Reihe 2006 ihr erstes Reboot. Crystal Dynamics löste damals das bisherige Entwicklerstudio ab und begann mit „Tomb Raider: Legend“ eine Trilogie, die überarbeitetes Gameplay und – für die damalige Zeit – topaktuelle Grafik bot.

In „Tomb Raider: Legend“ begibt sich Lara Croft, ihres Zeichens Abenteuer-Archäologin mit einem Hang zur Kulturdenkmal-Zerstörung, auf die Spuren ihrer eigenen Vergangenheit. Beim Erkunden einer bolivianischen Ruine findet sie ein Artefaktfragment, das mit zwei Verlusten aus ihrem früheren Leben in Verbindung steht. Auf der Suche nach den restlichen Teilen jettet Lara um die Welt, durchklettert die Überreste untergegangener Zivilisationen, begegnet Söldnern, Yakuza und einer totgeglaubten Freundin.

Diese Reise führt sie durch abwechslungsreiche Level, darunter klassische Tempelruinen, aber auch Tokyoer Wolkenkratzer, Sowjet-Bunker und Himalaya-Gipfel. Jeder Abschnitt wartet mit einer eigenen Atmosphäre auf, untermalt vom mal treibenden, mal epischen, mal mysteriösen Soundtrack. Lara erklimmt allerhand Steilwände, überschwingt Abgründe, löst Schalterrätsel und befehdet Söldner mit variierendem Waffenarsenal. Zwischendurch lockern Motorrad-Passagen das Gameplay auf. Langeweile kommt in den knapp 10 Spielstunden nicht auf.

Dazu trägt auch die Geschichte bei. Diese verknüpft die Schauplätze sinnvoll und wartet mit – wenn auch recht voraussehbaren – Wendungen auf. Stellenweise klingt eine ehrfurchterregende Stimmung an, die das Unbekannte der Vergangenheit zelebriert, es durch phantastische Elemente anreichert (und dabei gekonnt den aktuellen Forschungsstand umgeht). Im Gegensatz zu frühen Assassin’s Creed-Teilen, deren Nebenhandlung rund um eine mythische Vorgänger-Zivilisation fesselnd und intelligent in den Hauptplot eingewoben war, wirken die mythologischen Elemente in „Tomb Raider: Legend“ manchmal beliebig oder gar übertrieben.

Das passt allerdings zu den Charakteren. Laras Verbündete und Widersacher sind Stereotype. Aber liebenswerte Stereotype. Die Frotzeleien, die Lara und ihre per Headset verbundenen Unterstützer austauschen, sprühen vor Charme. Auch Lara als übermenschliche Heroine, die stets einen coolen Spruch auf den Lippen hat, kann überzeugen. Umso seltsamer wirkt es, dass sie stark sexualisiert wird. Schon das Intro-Video, das ansonsten wunderbare 2000er-Flairs verbreitet, strotzt vor knapper Garderobe. Auch teilen sich alle weiblichen Figuren im Spiel ein Charaktermodell, bei dem Rückenschmerzen vorausprogrammiert sind.

Einen zweiten Kritikpunkt stellt die Steuerung dar. Mit Maus und Tastatur ist „Tomb Raider: Legend“ unspielbar: Die willkürlich wirkende Tastenbelegung nutzt Sondertasten für zentrale Funktionen, Fingerverrenkungen sind unvermeidbar. Auch die Gameplay-Steuerung ist hakelig, die Kamera dreht sich zu schnell, Sprünge enden oft in Abgründen. Zudem wartet die PC-Version mit einer seltsamen „Next Gen Content“-Option auf, die den Grafikstil verdüstert, dafür aber regelmäßige Abstürze heraufbeschwört.

Insgesamt ist „Tomb Raider: Legend“ ein solider Trilogie-Auftakt, dem man sein Alter an zahlreichen Stellen anmerkt. Wenn ihr einen Einstieg in das klassische Tomb Raider-Franchise sucht, fangt vielleicht lieber mit „Tomb Raider: Anniversary“ an, dem direkten Nachfolger des hier besprochenen Spiels und gleichzeitig einem Remake des allerersten Teils aus den 90ern.

Bewertung:
3/5

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