Rezension: Der Name der Rose

Lediglich die Übersetzung der Abschrift eines realen mittelalterlichen Manuskripts sei der vorliegende Text, schreibt Umberto Eco in der Einleitung seines 1980 auf Italienisch erschienenen Romans „Der Name der Rose“. Ein altbekannter Kunstgriff in der Literatur. Schon im 18. Jahrhundert wurde Ähnliches beim als erste Gothic Novel geltenden „Das Schloss von Otranto“ angewandt: Der Autor sei auf eine alte, wahre Geschichte gestoßen, die durch ihre Echtheit umso lesenswerter wird. Eine glatte Lüge – und bei Eco eine sehr glaubwürdig ausstaffierte, die sogar mit authentisch wirkenden Quellennachweisen aufwartet. Dabei hätte der Roman mehr als genug zu bieten, dass man ihm seine Erfundenheit verzeiht.

Wir schreiben das Jahr 1327: Der Franziskanermönch William von Baskerville und sein junger Gefährte Adson erreichen eine Dominikanerabtei in den Hängen des norditalienischen Apennins. Eigentlich vom Kaiser entsandt, um in einem religionspolitischen Disput zu vermitteln, wird William bald in eine Mordserie verwickelt, die Mönche auf mysteriöse Weise dahinrafft. Gut also, dass neben seinem Beinamen auch seine Kombinationsgabe an einen gewissen Meisterdetektiv erinnert …

Die Geschichte wird rückblickend von einem gealterten Adson erzählt. Dass der sich noch in übermäßiger Klarheit an kleinste Details erinnert, kann man leicht verkraften. Schließlich erlaubt uns sein Bericht, eine spannende Detektivgeschichte mitzuerleben, die dadurch an Zündstoff gewinnt, dass ihr Schauplatz ausschließlich auf die Abtei und ihr Handlungszeitraum auf (symbolträchtige) sieben Tage beschränkt bleibt.

Der erste Tag plätschert dabei noch etwas gemächlich dahin, schließlich müssen die zahlreichen Charaktere eingeführt, alle Örtlichkeiten kennengelernt werden. Sobald sich aber die Toten häufen, nimmt die Handlung an Fahrt auf. Neben dem Rätsel um die Morde kommt ein zweiter Handlungsstrang hinzu – Williams diplomatischer Auftrag –, der sehr viel stärker mit dem historischen Szenario verwoben ist. Glücklicherweise fühlt er sich nicht wie ein Fremdkörper an, sondern ist geschickt mit der Kriminalhandlung verwoben. Regelmäßige Einschübe liefern schmucklos, aber effektiv die notwendigen historischen Hintergründe. Nur manchmal kommt Eco regelrecht ins Schwafeln: Skurrilstes Beispiel bietet wohl die zehnseitige Beschreibung eines Porticus.

Dabei beweist er an anderer Stelle, dass er schöne Prosa verfassen kann. Gerade die Dialoge sind intelligent geschrieben, stellenweise sogar überraschend witzig. Selbst theologische Dispute und philosophische Anwandlungen langweilen nicht. Dazu tragen auch die Charaktere bei, die allesamt keine Abziehbilder, sondern Individuen mit nachvollziehbaren Motiven sind (mit Ausnahme des arg dämonisierten Inquisitors Bernard Gui).

Der wichtigste Charakter des Romans aber ist kein Mönch, nicht einmal ein Mensch – sondern die geheimnisvolle Klosterbibliothek, deren Inhalte vom Bibliothekar mit Argusaugen gehütet werden. Das Mysterium dieses „Labyrinths“ entfaltet sich langsam und mündet in eine befriedigende Auflösung der Frage, welche Schätze denn nun hinter den wuchtigen Mauern liegen. Überhaupt ist „Der Name der Rose“ ein Buch für Bibliophile. Bücher werden diskutiert und zelebriert als Wissensbewahrer und Erkenntnisspender, aber auch als fehlbare Gefährten. Umso mehr schmerzt das Ende, das die zuvor regelmäßig angeklungene Vergänglichkeits-Thematik auf eine tragische Spitze treibt.

„Der Name der Rose“ ist Kriminalroman, philosophischer Essay und Historienepos mit dichter Atmosphäre in einem. Umberto Ecos Werk gilt zurecht als Meisterleistung und hat – mit Themen wie religiösem Fanatismus, den Grenzen menschlicher Erkenntnis, Fragen der Schuld und der Suche nach einem höheren Sinn – bis heute nichts an Aktualität eingebüßt. Die sperrigeren Passagen in Kauf zu nehmen, lohnt daher allemal.

Bewertung:
4/5

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