The Witcher 3 ist so gut wie alle sagen, also spielt es! Mehr gibt es nicht zu sagen …
Oder doch: Denn das Meisterwerk des polnischen Entwicklerstudios CD Projekt Red ist ein Umfangsbrocken. Mich hat das Durchspielen inklusive aller Zusatzinhalte 194 Stunden meiner Lebenszeit gekostet. Warum ich diese Stunden keineswegs bereue, werde ich in dieser Kritik erklären.
Bereits rein oberflächlich betrachtet wartet The Witcher 3 mit einer grafischen Präsentation auf, die noch 7 Jahre nach seinem Erscheinen zum ständigen Screenshot-Aufnehmen verleitet. Untermalt von wunderschöner Musik, führt die Reise durch die offene Spielwelt in mittelalterliche Metropolen, kriegsgebeutelte Moraste, wildromantische Fjorde und mediterrane Weinberge, die alle ihren höchsteigenen Charme entfalten.
Innerhalb dieser Kulisse agieren vielschichtige Charaktere, die teils aus den – äußerst empfehlenswerten – Büchern Andrzej Sapkowskis sowie den Vorgängerspielen bekannt sind. Neben liebenswerten Verbündeten wie dem Zwerg Zoltan und hasserregenden Gegenspielern, etwa dem verrückten König Radovid oder den Muhmen, wartet The Witcher 3 regelmäßig mit einer noch spannenderen Kategorie an Charakteren auf: Gestalten, deren Motive und Gesinnung zunächst verborgen liegen. Der allmächtige Kaiser Emhyr, der Blutige Baron, die Zauberinnen-Loge – allesamt Akteure jenseits von Gut und Böse.
Im Zentrum dieses undurchsichtigen Reigens steht der namensgebende Hexer Geralt, ein Monsterjäger mit rauer Schale, beißendem Zynismus und weichem Herzen, der sich auf die Suche nach seiner Ziehtochter Ciri begibt.
Oder auch nicht, denn The Witcher 3 entfaltet seinen Charme vor allem abseits der großen, epischen Erzählungen. In der Buchvorlage verdient Geralt seinen Lebensunterhalt durch das blutige Handwerk der Monsterjagd. Dass sich dieses Konzept perfekt auf ein Spiel übertragen lässt, hatte CD Projekt Red bereits in den Vorgängern begriffen. In der offenen Spielwelt von The Witcher 3 geht es aber vollends auf: Verteilt in der Welt warten Aufträge zur übernatürlichen Ungezieferbekämpfung, die nicht aus stumpfem Ablaufen von Questmarkern bestehen, sondern eigene, kleine Geschichten erzählen und nicht selten moralische Dilemmata aufwerfen. (Tatsächlich böte sich The Witcher 3 als Lehrmaterial für den Ethik-Unterricht an … naja, wenn das Monsteraufschlitzten nicht wäre.)
Leider bringt dieser Spielaufbau auch eine Schwäche mit sich: Sein volles Potenzial entfaltet The Witcher 3 erst auf Dauer. Wer nur kurz in die Welt des Hexers hineinschnuppert und keinerlei Geduld mitbringt, könnte von gewissen Oberflächlichkeiten abgeschreckt werden, namentlich dem Gameplay. Vorlagengetreu bleibt Geralt das gesamte Spiel über bei seinen erprobten Silber- und Eisenklingen, spielerische Abwechslung in den Kämpfen bleibt größtenteils aus. Selbst neu erlernte Fähigkeiten verleihen höchstens Schadensboni und ändern das Gameplay kaum. Auch die Bewegung ist manchmal fummelig, und die leicht distanzierte Kameraperspektive mindert die Immersion.
Doch die emotionalen Achterbahnfahrten, welche die aufwändig inszenierte Hauptgeschichte und die clever innerhalb eines limitierten Ressourcen-Budgets geschriebenen Nebenquests liefern, lassen darüber hinwegsehen. Auch die Erweiterungs-Storylines dürfen nicht unerwähnt bleiben. Hearts of Stones bietet geniale Charaktere sowie einen schauerhaften Gegenspieler, während Blood & Wine Geralts Geschichte zu einem wunderschönen Ende führt, das ihm Sapkowski noch verwehrte.
2017 hat CD Projekt Red dann, zum zehnjährigen Jubiläum der Witcher-Spielereihe, ein Video veröffentlicht, in dem ein letztes Mal verschiedenste Charaktere aus der Reihe in Geralts Alterswohnsitz zusammenkommen. Der Hexer resümiert in einem Monolog über sein Leben seit dem Spielende – und wendet sich dabei direkt an den*die Spieler*in. Wer dabei keine wässrigen Augen bekommt, hat das Spiel entweder nicht gespielt oder flunkert. Und deshalb:
The Witcher 3 ist so gut wie alle sagen, also spielt es! Mehr gibt es nicht zu sagen …
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