Rezension: Tomb Raider Underworld

„Tomb Raider Underworld“ kündigte sich in seinem Teaser-Trailer mit einem Knall an. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn untermalt von Mozarts „Lacrimosa“ zerfetzt eine Explosion die Croft-Villa, Heimstatt und Missionsbasis unserer Heldin Lara. Nach den Vorgängern „Legend“ und „Anniversary“ versprach der dritte Teil der Crystal-Dynamics-Trilogie ein fulminantes Finale, der das Franchise auf den Kopf stellen würde. Und tatsächlich veränderte „Underworld“ die Tomb-Raider-Marke nachhaltig: Aufgrund enttäuschender Verkaufszahlen sollte die Hauptreihe im Anschluss fünf Jahre ruhen und erst 2013 durch einen erneuten Reboot aus der Asche auferstehen. Doch Verkäuflichkeit und Qualität sind zwei Paar Schuhe. Vielleicht versteckt sich hinter „Underworld“ ja ein verschmähtes Meisterwerk?

„Underworld“ knüpft an die Enden seiner Vorgänger an. Lara ist auf der Suche nach ihrer Mutter und stößt dabei auf alte Widersacherinnen. Während sie wieder einmal um den Globus jettet und die Ruinen untergegangener Zivilisationen unsicher macht, treten verstärkt mythologische Elemente in den Vordergrund.

Dabei werden allerlei Sagenkreise abgegrast, ein Fokus liegt auf der nordischen Ragnarök-Erzählung. Auch die bereits in früheren Teilen angekündigte Vorgängerzivilisation kommt stärker zum Tragen. Das Potenzial dieses – hanebüchenen, aber doch faszinierenden – Tropes bleibt ungenutzt: Vieles wird vage gehalten, ohne eigene Spekulation anzuregen, manches ergibt schlichtweg keinen Sinn. Warum die „Atlanter“ etwa eine Maschine schufen, welche die Erde vernichten kann, bleibt sogar Lara ein Rätsel.

Gemessen an der Over-the-top-Erzählung, bei der am Ende nichts Geringeres als die Weltrettung auf dem Spiel steht, ist die Atmosphäre viel zu ernst. Lara als Charakter fehlt jeglicher Charme, sie wechselt zwischen Aggressivität und erzwungener Coolheit. Auch die auflockernden Frotzeleien zwischen Lara und ihren Verbündeten, die in „Legend“ per Funkgerät ausgetragen wurden, vermisst man: Laras Sidekicks treten stark in den Hintergrund, was die emotionale Schlagkraft, wenn in Croft Manor der Tod zuschlägt, deutlich mindert. Das Zusammenspiel mit den Antagonistinnen bietet zwar gute Ansätze, letzten Endes krankt aber auch hier die Umsetzung.

Noch katastrophaler sieht es beim Gameplay aus. Die Steuerung ist hakelig. Ob Lara zum anvisierten Vorsprung oder der nächsten Säule findet, entscheidet – um beim Mythologie-Thema zu bleiben – Fortuna, nicht unser Geschick am Controller. Dazu gesellt sich eine Kameraführung, die im besten Fall als unruhig zu beschreiben ist, manchmal sogar regelrecht Übelkeit auslöst. Auch das Kampfsystem bietet trotz freier Waffenwahl kaum Variation. Im letzten Drittel des Spiels schwingt Lara ein mythologisches Artefakt, dessen Handhabung zwar zunächst Spaß macht, die Kämpfe auf lange Sicht aber viel zu sehr vereinfacht.

Zur überernsten Grundstimmung gesellt sich ein weiterer Trend der späten 2000er: matschige, entsättigte Farben. Diese hemmen die optische Wirkung der eindrucksvollen Panoramen. Das Design der uralten Ruinen überzeugt nämlich, nur wird es weder durch Erzählelemente noch motivierende Nebenaufgaben ausgefüllt. Auch der Soundtrack weist Highlights auf, kommt aber – da teils nur sehr kurz angespielt – kaum zur Geltung.

Nein, „Tomb Raider Underworld“ ist kein zu Unrecht vergessenes Juwel. Wer spaßige Kletter- und Rätselunterhaltung sucht, wird beim Vorgänger „Anniversary“ fündig. Story-Fans sind mit „Legend“ oder der neuen Tomb-Raider-Trilogie besser bedient.

Bewertung:
2/5

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